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"Mulder und Scully sind zwei verschiedene Teile meines Wesen", hat CC, der Schöpfer der 'X Akten' einmal gesagt. Und genauso sind seine Serie 'Akte X' und Jeff Rices Kultklassiker "Kolchak-The Night Stalker" zwei Seiten derselben Münze. In vielen Interviews hat Carter immer wieder darauf hingewiesen, dass die unheimlichen und gruseligen Abenteuer des Reporters Carl Kolchak in gewisser Weise Pate für sein eigenes Projekt standen. Doch wie kam es dazu, dass der aus dem Sonnenstaat Kalifornien stammende Carter, dessen Lebensinhalt aus Surfen bestand, zu einem der wichtigsten Erneuerer heutiger Fernsehunterhaltung wurde? Und was macht den unsterblichen Charme eines schäbigen Reporters wie Carl Kolchak aus? [...] Nach Unterzeichnung eines Vertrages mit der Twentieth Century Fox Television über die Entwicklung einer Serie wusste Carter vorerst nicht mehr, als dass er etwas Erschreckendes wie "Kolchak-The Night Stalker" machen wollte. Das Horrorgenre war seit der Einstellung von 'Kolchak' praktisch aus dem Fernsehen verschwunden. Zwar gab es immer wieder mal Versuche, Anthologien zu plazieren, aber kaum eine dieser mehr oder weniger gelungenen Serie konnte sich lange behaupten. Und bei Serie mit bleibenden Charakteren sah die Situation sogar noch grausiger aus. Seltsam also, dass Carter sich für etwas entschied, das so offensichtlich kaum eine Chance auf Erfolg hatte. Für Carter war es keine Frage des Genres. Vielmehr erschien ihm seine Idee der Abenteuer des an übersinnliche Phänomene glaubenden Fox Mulder und seiner skeptischen Partnerin Dana Scully als ideal für eine Fernsehserie, da er von der Prämisse ausging, dass die Serie das Potential zu einer langlebigen Serie hatte, solange es ihm gelang, Glaubwürdigkeit mit einem hohen qualitativen Anspruch zu verbinden. [...] Ein Grund für den anhaltenden Erfolg von Akte X ist Carter Konzept der extremen Möglichkeiten, der Verwurzelung der Geschichten in der wirklich Welt. Nach Carters Willen soll nichts in den X Akten angesprochen werden, das nicht - wenngleich nicht so übersteigert wie in der Serie - auch im echten Leben geschehen könnte. Ein derartiger Erfolg war in den 70er Jahren der Serie, durch die Carter zu Akte X inspiert wurde, "Kolchak-The Night Stalker", nicht vergönnt. Der zynische Reporter Karl Colchak wurde von dem Reporter Jeff Rice ersonnen, der während seiner verschiedenen Tätigkeiten - u. a. fungierte er auch als Redakteur und zeitweise sogar als Privatdetektiv - gerne einen Roman, tatsächlich sogar deren zwei, schreiben wollte. In dem einen wollte er den Mythos des Vampirs für unsere moderne aufgeklärte Zeit neu bearbeiten und in dem anderen einen Einblick in seine Heimatstadt Las Vegas geben, bei dem die Stadt selbst zu einem der Hauptdarsteller werden sollte. Kurzentschlossen vereinigte er beide Geschichten in einem einzigen Roman und schrieb "The Kolchak Papers", der noch vor Veröffentlichung von ABC aufgenommen wurde, um daraus einen Fernsehfilm zu machen. So kam es, dass Kolchak das Licht der Welt im Pantoffelkino erblickte und Rices Roman schließlich als Buch zum Film erschien. Ans Ruder von "The Night Stalker", wie der erste Film und später auch das Buch hieß, setzte man Dan Curtis, der sich mit der langlebigen Horrorsoap 'Dark Shadows' einen Namen gemacht hatte. Curtis kühles Gespür für Atmosphäre und unterschwellige Gothic-Einflüsse zeigten sich aber auch in seinen Adaptionen von 'Dracula' und 'Frankenstein', die sich im Gegensatz zu vielen ihrer Namensvettern noch am ehesten an den Romanen orientieren. Nicht minder interessant gestaltete sich Curtis kurzlebige Neuauflage von 'Dark Shadows' in den 80er Jahren, zwei Filmversionen der Serie und die heiter-makabre Fortsetzung des Episoden-Filmchens 'Trilogy of Terror'. Mit Curtis hatte ABC also einen Mann verpflichtet, der beste Referenzen mitbrachte, um ein so neues und originelles Konzept wie Kolchak zu verwirklichen. Ausschlaggebend für einen guten Film ist immer noch ein gutes Drehbuch, weswegen sich Curtis an den renommierten Autoren Richard Matheson wandte, mit dem er auch später noch an einigen Projekten arbeitete und der mit 'Ich bin Legende' einen der besten Sci-Fi-Romane aller Zeiten geschrieben hatte. Mit der Verpflichtung von Darren McGavin als Carl Kolchak war das Triumvirat endgültig geformt, um aus "The Night Stalker" einen Film zu machen, der nicht nur in seinem Bereich wegweisend war, sondern auch die höchste Einschaltquote für einen Fernsehfilm bis zum damaligen Zeitpunkt einfahren konnte. [...] Bis zur Premiere von "The Night Stalker", wie die Serie zuerst hieß, bevor sie den Zusatz "Kolchak" erhielt, wurden aber noch einige Änderungen bei der Besetzung hinter der Kamera vorgenommen. Auch auf Drängen von Darren McGavin entschloss man sich, Curtis und Matheson nicht mehr für die Serie zu verpflichten, was vor allem auf finanzielle Gründe zurückzuführen war. [...] |
Leider vergaß man dabei den Grundsatz, ein Siegerteam niemals aufzulösen, was bei der wöchentlichen Serie von Beginn an zu einem gigantischen Flop führte. Woran lag es? Die Prämisse mit Carl Kolchak als Reporter der Nachrichtenagentur INS, der auf allerhand übernatürliche Phänomene stieß, letztlich aber am Ende eines jeden Falles nie auch nur den geringsten Beweis in Händen hielt, war praktisch dieselbe wie bei den Filmen. Selbst die Auseinandersetzungen mit seinem Redakteur Tony Vincenzo wurden beibehalten. Das größte Problem bei der Serie war aber wohl der Mangel an Wahrscheinlichkeit. Das Publikum konnte einmal glauben, dass Kolchak auf einen Vampir traf. Bei seiner erneuten Begegnung mit dem Phantastischen war es schon schwieriger, es nur auf einen reinen Zufall zurückzuführen. Zu Beginn von Kolchaks wöchentlichen Ausflügen in die Bereiche des Ungewöhnlichen wurde die Plausibilität aber schnell der Boden unter den Füßen weggezogen. Jeff Rice hatte wie Carter dieses Problem erkannt und bei ABC darauf gepocht, Kolchak neben seinen Begegnungen mit den verschiedensten Monstern, die der Serie übrigens schnell den wenig schmeichelhaften Alternativnamen "Kolchak's Monster of the Week" einbrachte, auch in brisanten Fällen von Machtmissbrauch und Verschwörungen ermitteln zu lassen. Unnötig zu erwähnen, dass die Mächtigen bei ABC es besser wussten. Ein weiteres Problem, mit dem die Serie ständig zu kämpfen hatte, war der Einsatz von Special Effects. Nur allzuoft sind unter den Kostümen der Monster echte Menschen zu erkennen, genauso wie man sich manchmal auf unsichtbare Monster verlegte. Ein weiterer Todesstoß wurde der Serie durch manch lächerliche Geschichte, die kaum von irgendeiner inneren Logik getragen wurde, versetzt. Trotz dieser offensichtlichen Mängel, die - hätte ABC das Handtuch nicht vorzeitig geworfen - leicht auszuräumen gewesen wären, verfügte "Kolchak-The Night Stalker" aber auch über einige Stärken, die die Serie auch heute noch zu einem unterhaltsamen Erlebnis machen. Am wichtigsten ist hier ganz klar Darren McGavin, dessen Darstellung des Kolchak von einer Qualität ist, die er in anderen Rollen nie wieder erreichen konnte. Kolchak ist ein Charakter, der ganz offensichtlich eine "Ihr-könnt-mich-alle"-Attitüde vertritt und diese auch schon durch seinen unkonventionellen Kleidungsstil zum Ausdruck bringt. Kolchak ist eigentlich kein sehr netter Typ, sondern ein Zyniker. So etwas wie Freunde oder Familie scheint er nicht zu besitzen, wobei die alte Sorgentante von INS, Miss Emily, noch am ehesten die Person ist, zu der Kolchak eine menschliche Beziehung aufrechterhält. Er lügt und betrügt, um bei seinen Recherchen weiterzukommen, und er bestiehlt seine Kollegen bei INS schon einmal, wenn es gar nicht mehr anders geht. Kolchak ist vor allem aber auch ein Mensch, mit dem sich der Zuschauer identifizieren kann. Zwar ist er mutig genug, die paranormalen Fälle, auf die er ständig stößt, zu untersuchen, aber anders als ein Fox Mulder, der freiwillig gegen das Böse in seinen zahlreichen Formen antritt, zeigt Kolchak menschliche Schwächen, die ihn in gewisser Weise ein bisschen mehr in der realen Welt verankern. Kolchak ist kein Held. Stellt sich ihm ein Monster in den Weg, so versucht er zu fliehen und überlässt der Polizei die Bewältigung des Problems. Die Flucht gelingt ihm aber nur selten, so dass es doch noch zu einem spannenden Showdown kommt: Er gerät in Sackgassen, aus denen er nur wieder entkommen kann, wenn er sich selbst den Wesen der Nacht stellt. "Kolchak - The Night Stalker" ist auch heute noch eine Serie, die Fans des Genres, auch ganz besonders X-Philes, empfohlen werden kann. Sicherlich wird kaum noch jemand wie einst der junge CC bei Betrachten der Serie Angst empfinden, aber für gute Unterhaltung wird gesorgt. Leute, die Sinn für humorvollen Horror oder einfach ein Herz für edleren Trash haben, sollten sich die Serie bei sich bietender Gelegenheit nicht entgehen lassen. Die einzelnen Geschichten sind im Endeffekt unwichtig, da es eigentlich nur um Kolchaks Interaktion mit seiner Umwelt geht. [...]*** |
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Autor: Peter Osteried
Source: Die X-Akten, Alle Hintergründe & Fakten zur 4. Staffel, Space View Special, Heel Verlag, 1997